Karin Laumeister, Alois Straub & Matthias Kraus: »Bewegungen und Durchbrüche«

Objekte und Bilder

Karin Laumeister, la grande dame der künstlerischen Keramik, kehrt immer wieder gern zurück aus ihrer Heimatstadt Wörth in das Hauptquartier der Vereinigung Kunstschaffender Unterfrankens, das Spitäle in Würzburg. Inzwischen achtzig Jahre, arbeitet sie immer noch voller Elan und präsentiert bekannte und nagelneue Arbeiten aus ihrem Brennofen. Als Mitaussteller eingeladen hat Karin Laumeister diesmal Alois Straub, Schmied aus Wörth, sowie Matthias Kraus, der in Hasselroth bei Frankfurt die Werkstatt für Zeichnung, Siebdruck und Plastik betreibt. Auch diese beiden durften bereits mit Ausstellungen bei der VKU zu Gast sein.

Der Titel der neuen Ausstellung, BEWEGUNGEN UND DURCHBRÜCHE, ist für Karin Laumeister schon lange Programm. Ihre stelenartigen Figuren leben geradezu von Brüchen und Metamorphosen und zeigen, wie die Künstlerin das Material vielschichtig ausreizt und in ihrer fragilen Formensprache festbrennt. Auch Straub und Kraus reizen in ihrer gemeinsamen Arbeit das Material aus. Sie benutzen Baustahl, farbig beschichtet, und schaffen mit ihrem GLÜCKSLÄUFER eine Figur voller schwingender Spannung, deren Poesie trotz raumgreifender Größe mit den Gegensätzen von leicht und schwer spielerisch umgeht. Matthias Kraus ist auch Graphiker und setzt mit seinen Interpretationen das Thema BEWEGUNGEN UND DURCHBRÜCHE ebenso auf der zweidimensionalen Ebene um. Dabei greift er die aus Stahl entwickelte Formensprache mit expressivem Pinselstrich für die Bildzyklen GLÜCKSLÄUFER und SAMURAI auf und entwickelt daraus den narrativen Aspekt der Figur.


Ausstellung vom 2. bis 24. Juli 2022


Eröffnung am Sonntag, 3. Juli um 11 Uhr
Einführende Worte spricht Heinz Linduschka.


Eröffnungsrede von Matthias Kraus

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Sehr geehrte Damen und Herren,

Glücksläufer heißt die Figur, die Alois Straub und ich in dieser Gemeinschaftsausstellung zeigen und ich nutze die Gelegenheit gern, ein paar Dinge über diesen Begriff mitzuteilen.
Aber zunächst einige Worte des Dankes. Erstens an die VKU für alle Vorbereitungen und Unterstützung. Und natürlich Dank an unsere liebe Kollegin Karin Laumeister, die so mutig war, zwei Vögel wie uns mit zu ihrer Ausstellung einzuladen. Und ich kniee nieder vor der Kunst meines Freundes Ali Straub, der mit Blut, Schweiß und Beharrlichkeit diesem Glücksläufer Leben eingehaucht hat.

Okay, genug des Lobes, jetzt gehts los:

Erste Mitteilung: Glück
Du musst wissen, man braucht, entgegen oft gehegter volkstümlicher Meinung, sehr wenig zum Glück. Nur glücklich sein, das heißt: Freiheit.
Freiheit ist Rot, denn Rot steht für Achtung vor Anderen, für Widerstand, für Nähe … Rot ist im Gegensatz zu Blau die Farbe der Nähe.
Freiheit entsteht ununterbrochen und man muss sie sofort festhalten und darf sie nie mehr loslassen. Die Freiheit wohnt überall und nur die Freiheit ist das Glück. Meist erzeugt die Freiheit eine Wolke, auch Luftikuss genannt.

Zweite Mitteilung: Laufen
Du musst wissen, der Weg z. B. von Senegal nach Europa führt über die so genannte Sklavenpiste, jener Route, auf der schon vor 2000 Jahren Arbeitskräfte für das Römische Reich besorgt wurden. Du musst dich in überfüllten Autos oder auch zu Fuß in Richtung Süden begeben, in Richtung Trockenheit und Hitze, nach Niger, wo die Orte von Kilometer zu Kilometer staubiger werden. Vorposten des sandigen Nichts.
In Agadez begibst du dich in die Hände eines Schleppers und besteigt zusammen mit 200 anderen Menschen einen der uralten Mercedes-Lastwagen, die von dort nach Libyen aufbrechen. Vier bis fünf Laster fahren täglich, dicht gedrängt sitzt du auf dem völlig überladenen Fahrzeug.
Dann endet Agadez, endet die Straße, endet die Sahelzone, Schwarzafrika, die Welt. Vor dem LKW erstreckt sich eine steinige und sandige Ebene. Willkommen in der Sahara, dem Ozean der Einsamkeit, in dem dich niemand suchen wird, in dem keine Gesetze mehr gelten.
Nach fünf Kilometern schon die erste Straßensperre. Polizisten dreschen mit Gummischläuchen und Peitschen auf dich ein und verlangen Geld von dir. Du hast deinem Schlepper 150 Euro bezahlt, genau wie ungefähr fünfzehntausend andere Leute jeden Monat. Dazu kommen die Polizeikontrollen zwischen der nigerianischen Hauptstadt und der libyschen Grenze. Zwölf mal wirst du angehalten, musst aussteigen, dich in den Sand knien und hoffen, dass du es diesmal nicht bist, der verprügelt wird. Aber irgendjemanden trifft es immer.
Neben dir zwei Brüder aus Liberia, die aus einem Flüchtlingslager in Ghana kommen, wo sie monatelang hausten. Es sind Naturwissenschaftler, die Einladungen zu Kongressen nach Slowenien in der Tasche haben. Sie träumen von Europa und sind entsetzt, als sie merken, wie hart diese Reise ist.
Dann kommt die Oase Dirkon, sie ist eine moderne Sklavenoase. Wenn dir das Geld ausgegangen ist, kannst du hier für etwas Wasser und Brot im Steinbruch arbeiten, als Hausdiener oder als Prostituierte. Dann kommst du hier nicht mehr weg.
Es kann in der Sahara schon ein tödlicher Fehler sein, pinkeln zu gehen. Die Schlepper setzen nach einer kurzen Pause die Fahrt einfach fort, ohne darauf zu achten, ob alle wieder an Bord des LKW sind. Du kannst auch einfach ausgesetzt werden, damit die Kerle Benzin sparen. Du hast ja im Voraus bezahlt.
Von Libyen aus musst du übers Meer nach Lampedusa, dem europäischen Vorposten zwischen Italien und Libyen. Wenn du nicht ersoffen bist, kommst du ins Lager und hockst mit den anderen zusammen auf dem Boden, auf dem knöcheltiefe Fäkaliensuppe schwimmt. Wer sich nicht sofort setzt, wird verprügelt.
Du wirst systematisch gedemütigt, aber du bist in dieser großen Lostrommel Europas. Du könntest nach Sizilien gebracht werden, dort bekämst du einen Ausweisungsbescheid und die Aufforderung, das Land innerhalb der nächsten sechs Tage zu verlassen. So wird für Schwarzarbeiternachschub gesorgt, denn als Illegaler wirst du gebraucht in Bau- und Landwirtschaft. Je illegaler, je besser und je weniger Rechte. Der Endverbraucher in Deutschland hat Glück, er profitiert von den niedrigen Preisen, für die die Mafia auf diese Weise so zuverlässig sorgt.
Du könntest aber auch direkt nach Afrika zurückgeschickt werden, zusammen mit deinem Bruder und der Einladung zum Kongress nach Slowenien. Dann kommst du als erstes in ein libysches Auffanglager, wo du systematisch gefoltert und vergewaltigt wirst. Manche schickt man auch einfach in die Wüste.
Aber du hast Glück. Du hast es geschafft, lebend in dein Flüchtlingslager nach Ghana zurück zu kehren.

Danke für eure Aufmerksamkeit, allzeit viel Glück und gute Schuhe …


Leben – Kunst ist es – ein Text von Anna Stock, von ihr vorgetragen bei der Ausstellungseröffnung am 3. Juli 2022:

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Ich hab dich im Schatten deiner selbst erblickt,
wie du deinen Kopf zur Seite knickst,
wie du verstohlen am Rotwein nippst.
schreist leise auf mystische Weise Probleme in ein Glas.
ich hab dich erblickt, wie du an der Realität erstickst,
wie du den Wein über die weiße Kleidung kippst,
„Kunst ist es!“ schreist du mich an.
Und ich erwische mich,
wie ich nicke und doch nicht verstehe,
wie ich lächle und doch nicht kapiere,
wie ich denke und doch nicht begreife.
Wie ich mir auf die Zunge beiße,
mir ein Lachen verkneife
Und nicht über die zerstörte Kleidung keife.
Du schaust mich an – ein Augenkontakt, ich versteh schon:
Ja, das Glas in deiner Hand ist der Drang zu leben,
ist der Versuch sich zum Rhythmus des Lebens zu bewegen,
ist die verbitterte Wut auf den aktuellen Kalenderspruch:
„la vie est belle“
Und der rote Fleck auf deinem Oberteil widerspiegelt deine Erleichterung,
der dunkelrote Fleck da „Kunst ist es“
Aus deinen Augen fällt die Last,
befreit aus diesem Gedankenknast,
Wieso muss denn diese verdammte Erde jetzt aufhören sich zu drehen?
Wieso muss ich Menschen beim Vereinsamen zusehn?
Muss lachen – trotzdem?
Ist ja normal Stress zu überstehn
Bin ja noch jung, hab das Leben eh noch nicht gesehn.
Ich hab dich erblickt,
also mach mal das Licht bei dir an,
und fang mal an die Alarmglocken zu aktiviern,
versuch mal zu kapiern,
dass wir ohne Zusammenhalt in dieser Zeit langsam krepiern
bevor wir zu Einzelkämpfern mutiern
Ich hab dich erblickt, wie du den Kopf zur Seite knickst,
wie du den roten Rotwein über die weiße Kleidung kippst,
wie du grinst und erleichtert nickst.
Mein Leben ist ein Paradoxon,
es ist ein Marathon,
doch ich trainiere für einen Sprint,
mache, wozu mich die Gesellschaft zwingt,
während mein wahres Ich irgendwo hinterherhinkt.
Ich lebe in einer riesigen Galerie,
die einzelnen Bilder meine Artillerie,
und doch stehe ich immer neben den Bildern.
Ich sage „a“, doch meine „b“,
erwische mich, wie ich an den kompliziertesten Gemälden vorbeigeh,
weil ich die doch eh nicht versteh.
Mein Leben ist eine Galerie,
Menschen schauen mit anerkennendem Blick auf die Bilder,
schwelgen in Phantasie,
gekünstelte Euphorie,
doch hinter die Fassade schauen sie nie.
Wir schwadronieren, anstatt zu reflektieren,
Wir degradieren, anstatt zu applaudieren,
Wir werfen Farben auf Leinwände ohne hinzuschauen –
Malen das Bild ja eh nie zu Ende
Ich hab mich im Spiegel erblickt,
wie ich mir das rote Getränk über die Bluse kippe,
als Zeichen, dass ich aus jeglichen Konventionen breche,
wie ich zu mir spreche,
das Leben Kunst ist es.
Ich hab uns erblickt, wie du und ich nach Freiheit streben,
jubelnd die Hände in den Himmel heben,
mit tosendem Applaus hoch hinaus
und für einen Augenblick mal stolz sind auf unser Leben.
Denn zu leben – Kunst ist es.

Es gibt zu dem Text ein selbstgedrehtes Drohnenvideo



Aufbau des »Glücksläufers«